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Die ersten Ameisen

Die Frage nach dem Zeitpunkt, an dem die erste Ameise auf unserem Planeten umherlief ist schon lange eine der interessantesten in der Myrmekologie. Um es vorweg zu nehmen: Genau kann man es auch heute noch nicht sagen. Aber man ist nicht mehr so weit weg davon, wenn man davon ausgeht, dass ein paar Millionen Jahre nicht „so weit“ ist. Vielmehr sucht man ja auch nicht direkt die erste Ameise, sondern das Lebewesen, das man zwar schon als Ameise bezeichnen kann, das aber auch noch viele Merkmale der Tiergruppe trägt, aus welchem die Ameisen hervorgegangen sind. Und das sind, da ist man sich schon länger sicher, Wespen. Solitäre Wespen.

Die Suche nach diesen „Zwischenformen“ in fossiler Form erweist sich dabei mit schöner Regelmäßigkeit als überaus schwierig.
Dementsprechend verursacht das Auffinden eines solchen „Missing Link“ ein gewisses Aufsehen in der Fachwelt und manches Mal (wie z. B. im Fall des Archaeopterix) auch darüber hinaus. So war es dann keine Überraschung, dass auch die „Urmutter“ der Ameisen nicht gefunden wurde.
Zwar gibt es eine überaus große Anzahl fossiler Ameisen. Diese finden sich jedoch fast ausschließlich eingeschlossen in Bernstein, der an der Samlandküste im ehemaligen Ostpreußen aus der sogenannten „Blauen Erde“ gewonnen wird und dessen Ausbeute an eingeschlossenen Tieren absolut einzigartig ist.
Das Alter dieses Baumharzes und ergo auch der eingeschlossenen Ameisen beträgt jedoch maximal 50 Millionen Jahre. Alle gefundenen Ameisen entsprechen in den wesentlichen Merkmalen den heutigen Formen, obwohl ein großer Teil dieser fossilen Ameisen heute ausgestorben ist. Ein gutes Beispiel dafür stellt Formica flori dar, eine Ameise die sehr häufig im baltischen Bernstein gefunden wird und die in vielerlei Hinsicht unserer gut bekannten und häufig anzutreffenden Forica fusca gleicht, aber eben dieser nicht genau entspricht. Dies wird vor allem an einer unterschiedlichen Beborstung und unterschiedlicher Oberflächenstruktur des Integuments deutlich.
Dennoch sind alle diese Formen im baltischen Bernstein eindeutig Ameisen und haben mit Wespen nicht mehr gemein, als heutige Arten auch.
Trotz der intnsiven Suche nach der „Urameise“ von Forschern auf der ganzen Welt dauerte es bis 1966, bis dieses Missing Link der Ameisen gefunden wurde. Wieder handelte es sich um einen Bernsteinfund. Zwei dieser sensationell ursprünglichen Ameisen wurden in einem gut 80 Millionen Jahre altem Bernstein aus Harz der heute noch existierenden Mammutbäume in New Jersey (USA) gefunden.
Wie vermutet und erhofft teilten diese Urameisen morphologische Eigenschaften der heutigen Ameisen und der Wespen.

Ameisenmerkmale

Wespenmerkmale

Metapleuraldrüse vorhanden (gemeinsames Kennzeichen aller Ameisen), nachgewiesen erst in späteren Funden

Scutum und Scutellum des Thorax ausgeprägt

erster Antennenabschnitt (Fühlerschaft) verlängert (etwa 1/4 der Länge der Fühlergeisel)

lange und bewegliche Fühlergeisel

Taille eher den Ameisen als den Wespen ähnlich und mit vollständig abgesetztem Petiolus

Mandibeln kurz und nur zweizähnig




Insgesamt ist es dennoch durchaus vertretbar, dieses Fossil als Ameise zu bezeichnen. Sie erhielt den vielsagenden Namen Sphecomyra (Wespenameise) freyi.
Der Fund von Sphecomyrma ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Ameisen sehr wahrscheinlich von Wespen der Gruppe der Tiphiidae, Gattung Methocha, abstammen. Bei Methocha sind die Weibchen im Gegensatz zu den Männchen flügellos.
Nach diesem ersten Fund einer Ameise aus der Kreidezeit wurden noch weitere Exemplare in der Folgezeit gefunden. Die Einordnung dieser Funde erweist sich oftmals als schwierig. Viele Funde, die zunächst als Ameise (Formicidae) bestimmt wurden, mußten später in andere Familien oder allenfalls den Ameisen nahestehend (Formiciodea) eingeordnet werden. Grundsätzlich lassen sich Inklusen in Bernstein sicherer bestimmen als Versteinerungen. Die Erhaltung von Ameisen in Bernstein ist manchmal so brillant, dass man denken könnte, sie sei erst gestern vom Harz der Bäume umschlossen worden.
Doch auch hier trifft man bei vielen Ameiseninklusen auf Schwierigkeiten. Oft fehlen Teile oder wichtige Merkmale werden von mit eingeschlossener Erde bzw. Pflanzenresten oder Lufteinschlüssen verdeckt.
Versteinerungen haben fast grundsätzlich den Nachteil, dass Feinstrukturen (Metapleuraldrüse!) nicht aufgelöst werden können und das Fossil erst sehr aufwendig freigelegt werden muss. Außerdem verdanken sie ihre Entstehung sehr großen Drücken, die zu erheblichen Deformierungen führten.
Dennoch standen oder stehen folgende Fossilien aus der Kreidezeit zur Diskussion, Ameisen oder ameisenähnlich zu sein.
In der nachstehenden Tabelle sind diese fossilen Ameisen der Kreidezeit aufgeführt. Weitere, interessante Ameisen aus dem Tertiär, wie sie in baltischem Bernstein oder Versteinerungen der Grube Messel gefunden wurden, finden Sie in der Galerie Tertiär

Beschriebene Art

Fundort

Fossilart

Kaste

Ameisenmerkmale

Klassifikation

Sphecomyrma freyi

New Jersey

Bernstein 80-90 Mio. Jahre

Arbeiterin + Männchen

siehe oben

In neueren Funden Nachweis der Metapleuraldrüse; Formicidae, Sphecomyrminae

Cretomyrma arnoldii

Sibirien

Bernstein 80 Mio. Jahre

Arbeiterin

Petiolus, Metapleuraldrüse vorhanden, zusätzliche Zähne an der Spitze der Mandibeln

Formicidae, Sphecomyrminae

Cretomyrma unicornis

Sibirien

Bernstein 80 Mio. Jahre

Arbeiterin

Petiolus, Metapleuraldrüse vorhanden

Formicidae, Sphecomyrminae

Dlusskyidris zherichini

Sibirien

Bernstein

Männchen

keine Metapleuraldrüse erkennbar

Formicidae, Sphecomyrminae

Petropone petiolata

Kazachstan

Versteinerung 90 Mio. Jahre

Arbeiterin

Ponerinae? Genus incertae sedis Formicoidae

Cretopone magna

Kazachstan

Versteinerung 90 Mio. Jahre

Wahrscheinlich nicht zu den Aculeata (Bienen, Wespen, Ameisen) gehörig

Archaeopone kzylzharica

Kazachstan

Versteinerung

Petiolus (ohne Knoten)

Genus incertae sedis Formicoidae

Dolichomyrma longiceps

Kazachstan

Versteinerung

Arbeiterin ?

Petiolus

Genus incertae sedis Fomicidae

Armania robusta

Russland

Versteinerung 100 Mio. Jahre

Königin

Großer Petiolus

Armaniinae ?

Pseudoarmania rasnitsyni

Russland

Versteinerung 100 Mio. Jahre

Königin

Petiolus

Pseudoarmania araberrans

Russland

Versteinerung

Petiolus

Armaniella curiosa

Russland

Versteinerung

Königin

Petiolus

Archaeopone taylori

Russland

Versteinerung

Männchen

Petiolus

Poneropterus sphecoides

Russland

Versteinerung

Männchen

Petiolus

Sphecomyrma canadensis

Alberta, Kanada

Bernstein 78 Mio. Jahre

Arbeiterin + Männchen

wie S. freyi, aber Körper insgesamt kräftiger gebaut, 3. Antennensegment wie 2. Antennensegment, bei S. freyi ist 3. Antennensegment mehr als doppelt so lang wie das 2.

Formicidae, Sphecomyrminae

Sphecomyrma sp.

Alberta, Kanada

Bernstein

Arbeiterin

wie S. freyi aber andere Antennen- und Mandibelmorphologie

Formicidae, Sphecomyrminae

Cretacoformica explicata

Victoria, Australien

Versteinerung 115 Mio. Jahre

Wahrscheinlich nicht zu Apocrita gehörig

Baikuris mandibularis

Sibirien

Bernstein 80 Mio. Jahre

Männchen

keine Metapleuraldrüse erkennbar, Mandibeln ohne Zähne, abgetrennter Petiolus mit Knoten

Formicidae, Sphecomyrminae

Baikuris mirabilis

Sibirien

Bernstein 80 Mio. Jahre

Männchen

keine Metapleuraldrüse erkennbar, Mandibeln ohne Zähne, abgetrennter Petiolus mit Knoten Baikuris zeigt jedoch auch gewisse Ähnlichkeiten zu Männchen von Amblyopone, der primitivsten rezenten Ponerine auf (Mandibeln, Einschnürung zwischen 1. und 2. Gastersegment)

Formicidae, Sphecomyrminae

Cariridris bipetiolata

Brasilien

Versteinerung 110 Mio. Jahre

Arbeiterin

Petiolus recht lang, der ameisentypische Fühlerschaft (Scapus) scheint sogar länger zu sein als bei Sphecomyrma (der kurze Schaft hat hier schon öfter zu der Vermutung Anlaß gegeben, es handele sich bei Sphecomyrma nicht um eine Ameise). Postpetiolus möglicherweise Artefakt. Kalkstein verdeckt noch wichtige Details des Fossils (Mandibularzähne und Metapleuraldrüse nicht erkennbar, daher nicht sicher Ameise)

Formicidae, Myrmiciinae

Brownimecia clavata

USA, white oak site

Bernstein, Alter wie Sphecomyrma

Arbeiterin

Fühlerschaft halbe Länge der Fühlergeisel (bei Sphecomyrma freyi ein Viertel), Mandibeln lang und dünn, ohne Zähne. Hinterleib signifikant zwischen erstem und zweitem Segment eingeschnürt. Vor allem die Antennenform unterscheidet die Art von allen anderen Ameisen aus Bernstein der Kreidezeit. Es handelt sich bei Brownimecia wahrscheinlich um eine echte primitive Ponerinae; primitiv selbst gegenüber der primitisten lebenden Ponerinae Amblyopone

Formicidae, Ponerinae

Haidomyrmex Dlussky

Burma

Bernstein, späte Kreidezeit oder Tertiär

Arbeiterin

Bizarre Art, Alter des Bernsteins nicht genau bestimmbar, möglicherweise eine Schnappfallenkieferameise wie Acanthognathus aufgrund der Mandibelform und der Sinneshaare am Rand des Clypeus. Der Fühlerschaft ist sehr kurz, deutlich kürzer als bei den Sphecomyrminae. Sicher nicht mit Brownimecia verwandt. Auf jaden Fall Ameise, aber möglicherweise aus dem Tertiär und nicht aus der Kreidezeit.

Formicidae, Sphecomyrminae ?


 
 

Aus diesen bisherigen Funden ergibt sich, dass die Bernsteinfunde von Sphecomyrma, Brownimecia und Cretomyrma die ältesten gesicherten Ameisenfunde darstellen. Da bei Cariridris bipetiolata aufgrund der Qualität der Versteinerung keine Metapleuraldrüse nachgewiesen werden kann, ist sie nicht sicher eine Ameise. Sie verfügt aber über Antennen, die den heutigen Ameisen mehr gleichen als die von Sphecomyrma und besitzt einen Petiolus und möglicherweise einen Postpetiolus. Diese Synapomorphien machen Cariridris sehr wahrscheinlich zu einer Ameise, die, wie Hölldobler erwähnt, eher primitiven Ameisen Australiens gleicht, und zu Lebzeiten nicht wie Sphecomyrma in Laurasien sondern räumlich weit voneinander getrennt in Gondwana beheimatet war.
  Sehr wahrscheinlich, aber nur durch weitere Funde (am besten in Bernstein) endgültig beweisbar, stellt damit Cariridris die älteste bekannte Ameise dar und lebte vor ca. 110 Millionen Jahren im heutigen Brasilien.
  Neben der stammesgeschichtlich sehr basalen Stellung der Sphecomyrminae zeigen die fossilen Funde der Kreidezeit auch die Ursprünglichkeit der heute noch mit zahleichen Arten vertretenen Unterfamilien Ponerinae und Myrmeciinae auf, die allerdings bereits zuvor als gesichert galt.
  Die erste Ameise lebte mit ziemlicher Sicherheit zu Beginn der Kreidezeit vor etwa 130 Millionen Jahren, wenngleich vergleichende Sequenzierungen der mitochondrial kodierten Cytochrom b - DNA Hinweise dafür geben, dass Ameisen bereits zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich bereits im Jura auftauchten.
 


 
 
August 2001   e-mail: formica@formica.de